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Plädoyer für eine Krise – ein Abend mit Alice Hasters

„Es gibt immer neue Geschichten, wir können sie selber schreiben, darin liegt meine Zuversicht“, sagt Alice Hasters auf die Frage, was wir tun können, um eine Identitätskrise zu bewältigen. Und darin, dass die Identitätskrise, um die es in ihrem zweiten Buch mit gleichnamigem Titel geht, nicht nur eine individuelle, private Krise sei, sondern eine, die wir gemeinsam als Gesellschaft durchschreiten sollten und können, darin liegt das große Plus. Sie gibt uns die Möglichkeit, ein neues Leben zu entwerfen, eine neue Sicht auf die Lebensweise unserer Gesellschaft zu entwickeln.


Alice Hasters folgt am Abend des 17. April 2024 der Einladung von Altmarienauerin Yasmina Alaoui. Sie ist unsere Patin im Netzwerk Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage und hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Marienauer Schulgemeinschaft mit anregenden Impulsen zu versorgen. Im Internat bietet sich dafür das Format des Obligos an, kurz für „obligatorischer Abend“. Obligatorisch deshalb, weil die Teilnahme für bestimmte Klassenstufen in Marienau verbindlich ist, alle anderen Mitglieder der Schulgemeinschaft sind herzlich eingeladen. Darüber hinaus hatte die Schule Marienau die Veranstaltung geöffnet für Gäste und Freunde, und es war uns eine große Freude, dass viele diese Einladung angenommen haben um nach Marienau zu kommen.

Wer ist Alice Hasters? Die 1989 in Köln geborene Tochter einer schwarzen US-amerikanischen Frau und eines weißen deutschen Vaters ist Journalistin, Autorin und Podcasterin, heute lebt sie in Berlin. 2019 erschien ihr erstes Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“, was mehrfach auf der Spiegel-Bestsellerliste landete. Im Oktober 2023 ist ihr zweites Buch mit dem Titel „Identitätskrise“ rausgekommen. Früher arbeitete sie u.a. für die Tagesschau und den rbb. Seit 2016 hat sie einen gemeinsamen Podcast mit Maximiliane Häcke - der Podcast heißt „Feuer & Brot“, dort besprechen sie Themen zwischen Politik und Popkultur. 

Identität ist eine Geschichte, die man über sich selbst erzählt. Eine Identitätskrise ist die Erkenntnis, dass diese Geschichte nicht mehr aufgeht.“

An diesem Abend liest Alice Hasters einzelne Passagen aus ihrem Buch vor. Im Bühnengespräch mit Yasmina Alaoui wird deutlich, dass eine Identitätskrise dann entsteht, wenn das eigene innere Erleben und die äußere Wahrnehmung nicht mehr übereinstimmen. Dann sind wir gefordert, dem Grund für die fehlende Kohärenz nachzugehen, Fragen zu stellen. Das betrifft die eigene Person, aber in gleicher Weise auch die Gesellschaft, in der wir leben, und noch weiter gefasst, die westliche Lebensweise. Ein kurzer Exkurs durch Geschichte und Weltgeschehen des 20. und 21. Jahrhunderts zeigt die Erzählstränge auf, die uns bis ins Hier und Jetzt sehr vertraut waren – und plötzlich nicht mehr passen. „Eine Krise, egal welche, nehmen wir z.B. die Klimakrise, geht nicht weg, in dem ich die Augen schließe. Keine Krise wird gelöst, in dem ich sie verdränge; auch wenn das der Weg ist, den die AfD so gerne propagieren möchte, aber dieser Weg führt nirgendwo hin“, bringt Alice Hasters es auf den Punkt. Sie hält ein leidenschaftliches Plädoyer für eine Identitätskrise: „Eine Identitätskrise ist anstrengend, aber sie ist besser als alles andere, besser als einfach so weiterzumachen“.

Was es dazu braucht, fasst Yasmina Alaoui so zusammen:

„Was ich vor allem aus Alices Buch mitnehme: In einer so komplexen Welt müssen wir uns vom Schwarz-Weiß-Denken verabschieden und die Kunst der Ambiguitätstoleranz lernen - die Fähigkeit, Wiedersprüche auszuhalten und Mehrdeutigkeit zuzulassen. Daran versuche ich mich immer zu erinnern, wenn ich mal wieder überwältigt bin von all den Dingen, die gleichzeitig passieren und von allen Widersprüchen, die ich selbst in mir vereine. Danke für den inspirierenden Austausch, liebe Alice!“